Traumpalast in Amber

27.10.: Mit dem Wuestenschiff unterwegs 

Dorfbesuch im Rahmen einer KamelsafariEndlich mal ein Tag, an dem es relaxter zugeht. Wahlweise zu zweit auf einem Kamel oder zu viert auf einem Kamelwagen geht es zu einem Beduidendorf, zunächst als Geisterreiter auf der Autobahn, bevor es in die Felder geht. Wegen Divali fällt der geplante Schulbesuch aus, statt dessen gibt es ein grosses Hallo im Dorf, wo wir bei einer Tasse Tee und einem Rundgang einiges über das Dorf und das Leben seiner Bewohner erfahren. Anschliessend bleibt im Hotel noch etwas Zeit für einen kurzen Poolbesuch, bevor es Richtung Jaipur weitergeht.
 
Absolut abgefahren ist das heutige Hotel, in dem ich mir mal ein Zimmer leiste. Hier wusste ein Unternehmer nicht so recht, ob er ein Hotel oder einen Freizeitpark hinsetzen sollte. Die Lösung fiel etwas anders aus, als etwa in Disneyworld. Mein Zimmer z.B. hatte einen grossen Balkon, aber keine Tuer, um rauszukommen. Wozu also das Ganze? Auf den Balkon oder besser gesagt, auf die Plattform, kommt man über eine separate Treppe, wie ich am nächsten Morgen feststellen sollte. Mein Balkon war der Startplatz fuer drei verschiedene Rutschen, darunter eine, wo man sich in eine Art Schwimmring setzt, mit dem man dann zu zweit in die Tiefe stürzt. Als mich am nächsten Tag der Lärm geweckt hat und ich den Vorhang zur Seite gezogen habe, muss ich ziemlich belämmert aus der Wäsche geschaut haben…
 
28.10.: Jaipur - die Stadt der Bettler
 
Von Jaipur, der “Pink City”, hatte ich offenbar falsche Vorstellungen. Andererseits: Wenn eine indische Stadt mal 2,3 Mio. Einwohner hat, bleibt nicht mehr viel Zeit fuer Romantik. Klar, es gibt den Stadtpalast und das Hawa Mahal (Palast der Winde), aber ansonsten Abgefahrenes Hotelextrem viel Armut, extrem viel Schmutz, extrem viele Bettler, extreme viele extrem lästige Haendler. Kein Vergleich mit Städten wie Orcha oder Khajuraho. Selbst Varanasi empfand ich als angenehmer.
 
Ganz anders die Umgebung: Der Palast oberhalb des benachbarten Amber – ein Maärchen aus Tausend und einer Nacht! Beeindruckend auch die zahlreichen Elefanten, die hochlaufen, auch wenn dies von Tierschützern wegen des Kopfstein-pflasters scharf kritisiert wird. Aufgrund dieser Kritik und weil 2005 ein in Panik geratener Elefant einen Reiseleiter zerquetscht hat, ist die Zahl der täglichen Ausritte reduziert und die Zahl der Passagiere von 4 auf 2 reduziert worden. Wir gehen zu Fuss hoch, was gar nicht so einfach ist, da alle Wegweiser und mündlichen Zurufe zum Startplatz der Elefanten führen…
 
Die 1727 errichtete Festung gilt zu Recht als schönster Palast Rajastans.
 
Sehr schön gelegen ist auch Gaitor, wo verschiedene Maharadschas begraben sind, mit seinen Marmorkunstwerken in einer schönen Parklandschaft.
 
Kurz vor dem Mittagessen ist meine Chance da! Wir besuchen eine Teppichknüpferei. In der benachbarten Schneiderei suche ich mir ein edles Stöffchen aus und diskutiere mit dem Schneider den Schnitt meines Anzugs. Auf 11.000 Rupien (ca. 185 Euro) einigen wir uns für den Anfzug, der bis morgen Abend geliefert werden soll.
 
 
 
29.10: Meine Premiere am Catwalk
 
 
GaitaHeute wartet ein dichtes Besichtigungsprogramm auf uns. Zusammen mit dem Tadsch Mahal und dem Amber Fort ist Galta einer meiner drei Lieblingsplätze im Norden Indiens. In dieser kleinen Schlucht, drei Kilometer von Jaipur entfernt, befinden sich einerseits viele kleine Tempel, aber auch mehrere eingefasste Teiche, deren Wasser fast so heilig wie das des Ganges ist und wo täglich etliche Menschen, in der Mehrzahl Frauen, rituelle Waschungen vornehmen. Hinzu kommen einige 100 Tempelaffen, die alle auf Trab halten. Wirklich alle.

Ein heiliger Mann bedeutet mir in einem der Tempel, ihm zu folgen und führt mich in das Allerheiligste. Der Zugang ist sehr verwinkelt, es wird immer dunkler – worauf habe ich mich schon wieder eingelassen? Irgenwann landen wir schliesslich vor einem stockfinsteren Altar. Als Dank will er 1.000 Rupien (= 16 Euro). Wir einigen uns auf 100, die ich dann schliesslich in eine einbetonierte Spendenbox werfe. Warum werde ich bloß nicht den Eindruck los, dass er sich das irgendwie anders vorgestellt hat?

Auf dem Rückweg machen wir Halt bei den Sisodia Gardens, einem schönen, sehr gepflegten und ruhigen Garten mit kleinem Palast, wo die Einheimischen gerne Feiern veranstalten.

Nicht fehlen dürfen in Jaipur der Besuch des Observatoriums und des Stadtpalastes, wo in einem Flügel der bei der Bevölkerung bis heute verehrte Maharadscha lebt.

Die 1728 bis 1734 errichtete Sternwarte beeindruckt schon durch ihre Ausmaße. Die größte Sonnenuhr ist 30 Meter hoch und bis auf drei Minuten genau. Andere Instrumente zeigen z.B. den jeweiligen Transzendenten beim entsprechenden Sternzeichen an.

19:30 Uhr. Es ist so weit. Wir sind mit dem Abendessen fertig und mein Schneider steht vor der Tür. Neben meinem Anzug hat er auch noch mehrere Hosen und Blusen fuer einige der weiblichen Mitreisenden mitgebracht. Der arme Mann kommt etwas ins Schwitzen, als er erfährt, dass mehrere der Damen auf einer Modeschau bestehen und eine Abnahme des Anzugs nur in Frage kommt, wenn alle einverstanden sind. Eine viertel Stunde spaeter konnte er das Hotelzimmer erhobenen Hauptes verlassen, mein Anzug wurde akzeptiert, ohne dass weitere Änderungen vorgenommen werden mussten.

Im Anschuss steht noch eine skurrile Puppentheater-Aufführung an.

30.10.: Wer hat’s erfunden?

Die Fahrt nach Delhi dauert etwas länger, es bleibt nur noch Zeit für die Besichtigung des Qutb-Minar. Dieser 72,5 Meter hohe Turm, eine Siegessaeule, soll vom afghanischen Eroberer Muhammed-e-Ghur und seinen Nachfolgern bis 1368 erbaut worden sein und gilt als eines der wichtiges Baudenkmäler der Mohammedaner in Indien. Unser Guide bezweifelt jedoch diese offizielle Geschichtsschreibung der Sieger. Er findet es u.a. merkwürdig, dass der Turm auf einer umgestülpten Lotusblüte und auch sonst die Struktur einer Lotusblüte hat, ein typisches hinduistisches Baumerkmal. Seine Theorie, die auf rund 20 Indizien aufbaut, wird von offizieller Seite nicht aufgegriffen – man befürchtet wohl zu Recht, dass dies das sensible Verhältnis zwischen Mohammedanern und Hindus negativ beeinflussen könnte.

Unser Hotel liegt in Karol Bagh, nicht unbedingt eine der besten Gegenden und auch nicht unbedingt ein Spitzenhotel, aber eines der wenigen mit einem Parkplatz. Hinter dem Hotel die Einkaufsstrasse Karol Bagh. Skurril: Da gibt es zum einen Geschäfte, davor links und rechts eine Reihe Strassenstände und außerdem kommen im 10 Sekunden-Rythmus Strassenhändler vorbei. Hinzu kommen noch Myraden von Bettlern. Ein vielleicht 6-jähriger Junge, umklammert z.B. ein Bein von mir und will mich nicht mehr loslassen. Hier wird viel Schrott angeboten, man kann aber auch gute Geschäfte machen. T-Shirts oder Krawatten für einen Euro? Kein Problem. Trotzdem lasse ich mich möglichst bald von Scotti wegbeamen, ist mir zu "indisch".

31.10.: Von Hindus, Sikhs und Moslems

In Delhi gibt es natürlich auch etliche Sehenswürdigkeiten, die man besucht haben muss. So das beeindruckende Mausoleum von Humayun, Prototyp aller später errichteten Mausoleen, also auch des Tadsch Mahal. Die Freitagsmoschee ist die größte Indiens. Theoretisch hat man von einem seiner Minarette die beste Sicht auf die Stadt. Aufgrund des Smogs sieht man allerdings keine 50 Meter weit. Durch die Lage auf einem kleinen Hügel mitten im Basarviertel ist sie sehr beeindruckend.

Beeindruckend auch der Sikh-Tempel Gurdwara Bangla Sahib mit seinem quadratischen Tempelteich, seiner Ruhe, seiner friedvollen Stimmung. Ein Sikh fuehrt uns durch, beim Verlassen gibt es eine Süßigkeit fuer jeden. Draussen, vor dem Tempel, spiegeln sich die goldenen Kuppeln im Wasser des Teiches. In den deutschen Medien bekommt man immer nur etwas von den extremistischen Sikhs zu hören, aber nicht vom freidfertigen Otto Normal-Sikh, der fast immer der indischen Mittel- oder Oberschicht angehört.

Eindrucksvoll auch Raj Gat, wo die wichtigsten politischen Führer des unabhängigen Indiens verbrannt wurden und wo Gedenksteine an sie erinnern. Besonders beeindruckend die Stimmung am schwarzen Marmorblock, der an Mahatma Gandhi erinnert, den wohl bekanntesten Inder, dessen Ideale im Der Sikh-Tempel Gurdwara Bangla Sahibheutigen Indien aber leider fast nichts mehr gelten. Schon fast pervers mutet es an, dass 100 Meter von dieser Stelle entfernt, die an diesen friedfertigen Mann erinnern soll, Spielzeug-Maschinengewehre verkauft werden. Wahrscheinlich besser so, dass die Toten bei den Hindus verbrannt werden, Gandhi würde sonst wahrscheinlich in seinem Grab rotieren.

An Gandhi erinnert auch der 1938 von ihm eingeweihte Lakshmi-Narajan-Tempel, der von dessen Freund, dem Industriellen Birla gestiftet wurde. Dieser aus rotem Stein errichtete Tempel war der erste in Indien, der allen Kasten offen stand(!).

Um 10:30 Uhr heist es Abschied nehmen von den anderen, die zum Flughafen müssen.

01.11. My Home is my Castle

Heute morgen wechsle ich von diesem etwas trostlosen Palace-Hotel in meine Privatunterkunft. Der Hotelmanager will mich noch davon überzeugen, bei ihm wohnen zu bleiben. Zum Ashok Hotel, wo die Tagung stattfindet, seien es mit dem Auto nur 10 Minuten. Mein Taxi braucht dann etwas ueber 90 Minuten, um zu meiner Unterkunftt zu kommen, von wo aus man noch rund eine halbe Stunde zum Ashok braucht (6 km).

Werde sehr freundlich aufgenommen. Mein Zimmer ist schön gross mit großem französischem Bett. Auf dem Schreibtisch stehen ein Fernseher mit Sateliten-Receiver sowie ein Notebook mit schnellem Internetzugang. Hinzu kommen eine Klimaanlage, ein Balkon sowie ein grosses Bad/WC mit Dusche und Power-Spülung. D.h., ich muss nicht mehr länger das benutzte Toilettenpapier in den Mülleimer werfen.

Ausserdem habe ich noch zwei Angestellte, die mir Frühstück oder auch anderes zu Essen machen und das Zimmer reinigen. O.k., die kümmern sich nicht nur um mich, sondern auch um die vierköpfige Gastgeberfamilie. Dazu kommt, dass dieses B&B nur ein Fünftel dessen kostet, was die Mitglieder der deutschen Delegation im Interconti bezahlen (wenn sie nicht in Karol Bahg wohnen und täglich 3-4 Stunden im Bus unterwegs sind). Und der allergrösste Knaller: Niemand wohnt näher am Indian Habitat Center dran wie ich, wo die meisten Veranstaltungen stattfinden: 15 Minuten zu Fuss oder 5 Minuten in der Auto-Riksha, umgebauten Piaggio-Dreirädern, wo vorne der Fahrer und hinten bis zu zwei Gaste sitzen.

Am Hazrat-Nizam-ud-din-Aulia in NizamuddinEin Abenteuer gehe ich am 1.11. noch ein. Ich lasse mich in den Ortsteil Nizamuddin fahren zum Hazrat-Nizam-ud-din-Aulia. In meinem Reiseführer steht nur etwas drin, dass es sich hier um die Gräber mehrerer verehrter Heiliger handelt. Hört sich eigentlich harmlos an. Haha! Selten so gelacht!

Tatsächlich tauche ich in eine andere Welt ein. Mein hinduistischer Fahrrad-Rikscha-Fahrer fühlt sich offensichtlich unwohl, verliert die Orientierung. Nach mehrmaligem Nachfragen kommen wir schliesslich in die Nähe dieses Heiligtums. Hier spricht – absolut unüblich für Indien – fast niemand mehr englisch. Ich stehe in einer engen Gasse. Mein Rikscha-fahrer wartet kaum ab, dass er mein Geld bekommt, so eilig hat er es. An mir huschen tiefschwarz verschleierte Frauen vorbei. Irgendwo höre ich das Murmeln von Koranschülern. Der Muezzin ruft zum Gebet. Und ein Handler drückt mir zwei Plastiktaschen mit je einer grünen Tischdecke in die Hand, dazu zwei Ketten mit Tagetes und einer Familienpackung Räucherstäbchen und will 500 Rupien. Mit dem Händler ist leider keine Verständigung möglich, mein wohl etwas zu verhaltenes "nein" akzeptiert er nicht. Verhalten deswegen, weil diese Utensilien vielleicht unabdingbar für einen Besuch sind. Was weiss denn ich? Nach 10 Minuten Diskussion und einem kleinen Menschenauflauf findet sich endlich jemand, der ansatzweise englisch kann und mir sagt, dass ich die Sachen natuerlich nicht benötige, damit aber die beiden heiligen Männer ehren kann. Er sagt mir auch, wo ich in das Labyrinth eintauchen muss.

Alleine hätte ich mein Ziel wohl sicherlich nie gefunden. Immer wenn ich falsch abbiegen will, zupft mich einer der 20 Bettler, die mich begleiten und bringt mich wieder auf den richtigen Weg. Als Dank bekommt derjenige immer 5 Rupien in die Hand gedrückt. Alle 20 Meter will mir einer eine "Tischdecke" verkaufen. Damit ich Ruhe habe, kaufe ich schliesslich 2 Tagetesketten fuer 100 Rupien.

Heilige Stätten des Islam duerfen nicht mit Schuhen betreten werden, also denke ich mir nichts weiter dabei, als man mich auffordert, diese auszuziehen und abzustellen. Ein Mitnehmen ist nicht erwünscht. Natuerlich sagt mir keiner, dass es noch 300 Meter bis zum Heiligtum sind und wie schwierig es sein wird, meine Schuhe in diesem Gassengewirr wieder zu finden.

Schliesslich erreiche ich die Moschee mit dem Grab des Heiligen Shaik-ud-din-Chisti, seiner Tochter Jahanara und anderen wichtigen Leuten. Dort nimmt mich der Vorsteher in Empfang, zeigt mir, wo ich meinen Blumenkranz ablegen soll und bedeutet mir, sich neben ihn im Vorraum des Heiligtums zu setzen. Er nimmt ein dickes Buch heraus, mit der Bitte, mich einzutragen – Gaätebücher sind in Indien sehr beliebt, wie ich in den vergangenen drei Wochen gelernt habe. Stutzig werde ich, als er meine genaue Adresse haben möchte. Hier habe ich meiner Fantasie dann doch etwas Spielraum gelassen. Als nächtes erfahre ich, dass es sich um ein Spendenbuch handelt. O.k., aufgrund der individuellen Betreuung und im Sinne der christlich-muslimischen Freundschaft trage ich halt mal 200 Rupien ein. Als nächtes wird mir der Zweck der fünf Spalten klar gemacht. Man erwartet fünf Spenden von mir. Oha! Also gut, ich trage in den anderen vier Spalten jeweils einen Betrag von 100 Rupien ein. Als nächstes werde ich darüber aufgeklürt, dass es auf keinen Fall ginge, dass ich für die Erhaltung des Grabmahls der Tochter des Heiligen 200, für ihn selbst aber nur 100 spende. Als gut, machen wir aus den 100 eben 200 Rupien. Ob mir die Bildung und die Zukunftschancen der jungen Menschen nichts Wert sind, dass ich für die nur 100 Rupien übrig habe. Gaga! Also gut, machen wir auch hier 200 daraus. Kreditkarte wird nicht akzeptiert, Cash wird erbeten. Hoffe, dass das Geld wenigstens dorthin fliesst, wohin es fliessen soll und ich nicht bei meiner nächsten Einreise in die USA Probleme bekomme…

Für meine Großzügigkeit bekomme ich eine individuelle Führung mit vielen Erklärungen. Meine Schuhe finde ich schliesslich auch wieder, mein Zimmer ebenso. Puh!

Meine Vermieterin hat gerade Besuch von einer Freundlin, ich werde zu einer Tasse Tee eingeladen. Wir kommen ins Gespräch, ich erfahre vieles über die Denke der indischen Mittelschicht. Das Viertel, in dem ich wohne, wird von der oberen Mittelschicht dominiert, trotzdem wechseln sich hier schöne Villen mit Baracken ab, viel Grün gibt es hier. Faszinierend ist, dass hier Hindus, Sikhs und Moslems leben.

Die beiden wollen mir gar nicht glauben, dass ich gerade im Ortsteil Nizzamuddin war. Beide waren noch nie dort, ist für sie exotischer als eine Reise nach Deutschland.

Gehe noch Getränke einkaufen und laufe prompt in eine Musikkapelle hinein. Auf meine Frage, was gefeiert wird, erfahre ich, dass eine Sikh-Hochzeit ansteht. Und schon bin ich wieder mitten im Geschehen, werde eingeladen, mal reinzuschauen. So sind die Inder: Einerseits lassen sie einen kaum mal in Ruhe, andererseits freuen sie sich aber auch, wenn Du sie nicht in Ruhe lässt…

Nach dem 02.11.08: JCI-Weltkongress

Eine Herausforderung in den kommenden Tagen wird es sein, die Fahrpreise bei den Autorikschas niedrig zu handeln. Der Fahrpreis zum Habitat-Center liegt mit Taxameter bei 17 Rupien, zum Ashok-Hotel, wo auch einige der Veranstaltungen stattfinden, bei 31 Rupien. Abhängig von der Tageszeit (Nachts: 100% Aufschlag), von meiner Kleidung (Krawatte 100%, Anzug 200% Aufpreis), vom Standort (Aufschlag vor dem Habitat-Center: 500%) zahle ich zwischen 17 und 150 Rupien (1 Euro=60 Rupien). Verlangt warden bis zu 3.000 – man kann es ja mal versuchen… Abends stecke ich Sakko und Krawatte in den Rucksack, gehe 200 Meter vom Habitat Center weg und zahle dann meine 70 bis 100 Rupien, während die anderen unter 500 nicht wegkommen. Manch einer zahlt auch einen Tausender, ein US-Amerikaner auch 50 US-$. Kein Wunder, dass es für mich jeden Tag schwerer wird, für die Rückfahrt einen vernünftigen Preis auszuhandeln. Dabei kommt es mir auf 20 Rupien hin oder her nicht an, andererseits steht es mir nicht an, die Preise in Delhi zu versauen.

Die Weltkonferenz der Wirtschaftsjunioren leidet darunter, dass die Veranstaltungsorte recht weit verstreut liegen, die Logistik eklatante Mängel aufweist und die bürokratischen Hürden sehr hoch sind. So muss ich z.B. meinen Essensgutschein für das Mittagessen bereits am Vortag gegen einen Voucher eintauschen, der nur für den Ort gültig ist, wo ich den Gutschein einlöse. Den Voucher erhalte ich auch nur dort, wo ich Essen will. Diese Regelung wird sich im Laufe der Tage aufweichen, weil nicht realisierbar.

Ein paar Highlights der Veranstaltung:

Zur Eröffnungs-Zeremonie muss man zwar zwei Stunden mit dem Bus fahren (unser Fahrer kannte den Weg nicht und mussteöefter mal halten und fragen, wie er zur Expo 21 kommt) und im Saal ist es eiskalt, der Einzug der nationalen Vorstände aus über 120 Nationen ist aber schon interessant, vor allem aus der Area A, also aus Afrika, von denen die meisten in Landestracht auf die Bühne kommen. Empfang und Essen im grossen Hof entschädigen aber für alles. Klassisch indisches Ambiente, eine lauwarme Winternacht (wir sind in Indien!), gutes Essen, fröhliche Menschen. Während ich mit einigen anderen Gästen aus der ganzen Welt Small Talk betreibe, kommt eine Gruppe Inder aus Kerala an unseren Bistrotisch, packt zwei Flaschen indischen Wisky aus und schenkt uns fleissig ein. Flüssige Voelkerverstaendigung sozusagen. Heute bekomme ich meine ersten 20 Visitenkarten. Mittlerweile bin ich bei 110 angelangt, davon wohl über 80 von Indern.

Peter Handal, CEO von Dale Carnegie, hält einen Grundsatzvortrag, zahlreiche JCI-Vizepräsidenten werden gewählt, die Welt-Debattier-Championships gehen ebenso über die Bühne wie die Public Speaking Championships (erstere in der XXL-Tiefkühltruhe des Hotels). Wow, die Leute haben etwas drauf. Bei der nicht ganz so Ernst gemeinten Dabatte, der ich beigewohnt habe, sollten indische Vertreter dafür eintreten, dass der ganze indische Verkehr mit Elefanten abgewickelt werden soll und das britische Team darlegen, warum dies Unfug sei.

Abends finden immer von einem Land gesponserte Treffen statt. So am Mittwoch die Korea Night und die Bangla Desh Night. Das Problem: 3.500 Teilnehmer zählt die Konferenz, nur gut 1.000 kommen hier unter. Chaos pur. Unter Einsatz unseres Lebens ergattern wir zu dritt 12 Flaschen Bier für die deutsche Delegation. An etwas zu Essen ist nicht zu denken. Wir kommen nicht mal in die Naehe des Buffets, zumindest solange es dort noch etwas zu essen gibt. Wesentlich weniger los ist bei der Bangla Desh-Night. Könnte daamit zu tun haben, dass für 500 Menschen nur ein Tablett Essen zur Verfügung steht. Na ja, in Bangla Desh reicht das wahrscheinlich locker...

Deutlich mehr Platz ist am Donnerstag bei der Obama-Night, äh pardon, US-Night. Hier unterhalte ich mich mit einer Carolin, Bei einem genaueren Blick auf ihr Namensschild lese ich auch ihren Nachnamen, der immer ganz klein auf unseren Namensschildern vermerkt ist. Auf meine Frage, ob sie denn etwas mit einem Kulmbacher Adelsgeschlechts zu tun habe, stellt sich raus, dass es sich um die Tochter des Grafen handelt, die heute in NRW lebt. Und Erich zu meiner Rechten, der ein Ingenieurbüro im Oberbayerischen betreibt, kommt eigentlich aus Trebgast. Plötzlich benoetigen die Nordeutschen, die um uns herum stehen, einen Dolmetscher…

Ansonsten ist Multikulti angesagt, Small Talk mit Tunesieren, Russen, Schweizern, Holländerinnen, Monegasserinnen, Indern, Kanadiern, Mexikanerinnen…Rund 3.500 Teilnehmer aus der ganzen Welt zaehlte der JCI-Weltkongress

Ein Besuch bei der Deutschen Botschaft steht ebenfalls auf dem Programm. Bei entspannter Atmosphäre stehen livrierte Ober bereit mit Wein und anderen Getränken sowie mit zahlreichen kleinen Leckereien. Lecker! Die deutschen Junioren haben ausserdem noch einige internationale Gäste eingeladen, meist Vorstände anderer Landesverbände, die Botschaft hat ausserdem Mitglieder der deutschen Gemeinde in Delhi eingeladen. So ergeben sich mit einem Vertreter von Fraport, die sich am Ausbau verschiedener Flughaefen im Land engagieren, und mit einem Vertreter von Nokia, die ein Center hochgezogen haben, um weltweit Angebote zu erstellen, hoch interessante Gespräche.

Hochinteressant auch der Besuch bei der deutsch-indischen Außenhandelskammer. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt mir, dass die AHK keine fünf Gehminuten vom Hinterausgang des Ashok-Hotels entfernt ist, wo ich vorher eine Veranstaltung hatte. So ist es auch. Die letzten 40 Teilnehmer kommen eine halbe Stunde verspätet, weil sie mit dem Bus über eine Stunde vom Hotel zur AHK benötigt haben. Erst Stau, dann hat der Fahrer die AHK nicht gefunden… Hier gibt es einen hochinformativen Vortrag des AHK-Hauptgeschäftsführers und leckere Laugenbrezen. Nach drei Wochen indischen Essens sind die so richtig gut!

 

07.11.08: Von kleinen Mädchen und heiligen Kühen

Zum Abschluss noch eine Begebenheit zum Schmunzeln: In einer Pause lasse ich mich von einem Rikscha-Fahrer zu einem Markt fahren. Brauche ein paar CDs für Sicherheitskopien meiner Fotos. Nachdem er es nicht schafft, auf die andere Strassenseite zu kommen, lässt er mich auf der "falschen" Seite raus. Habe offenbar zu hart um den Preis verhandelt. Gut, irgendwie komme ich schon über die 12-spurige Straße, zumal in der Mitte eine 20 cm breite Abgrenzung ist. Bis zu diesem Raumteiler komme ich noch irgendwie. Aber weiter geht es ums Verrecken nicht. Bei Schuhgrösse 46 können 20 cm verdammt klein sein…

Plötzlich piepst eine Stimme neben mir "One Rupie, please. Sir, one Rupie please." Ich rufe mich zur Räson: Hier ist nicht der richtige Zeitpunkt für Halluzinationen. Plötzlich zupft etwas an meiner Hose. Doch keine Halluzinationen, steht doch tatsächlich ein 7 bis 8 Jahre altes Maedchen neben mir mit einem kleinen Geschwisterchen am Arm. Ein sehr geschäftstüchtiges und schlaues junges Mädchen. Es nimmt meine Hand, zieht mich auf die Straße, nutzt die dort stehende heilige Kuh als Prellbock und bringt mich "alten" Mann sicher auf die andere Straßenseite. Die hat sich ihre Rupien verdient!

Nicht zuletzt aufgrund dieser Begebenheit bin ich recht optimistisch, wie es mit Indien weitergeht, trotz einer praktisch handlungsunfähigen Regierung, dem Gegensatz verschiedener Religionen, den Hemmnissen des Kastenwesens, dem allgegenwärtigen Schmutz, der unglaublichen Umweltbelastungen, der hohen Analphabetenquote und der allgegenwärtigen Armut. Die Inder sind ideenreich, wie sie Geld verdienen können und sind auch bereit, sich hochzuarbeiten. Viele Seiten haben mir bestätigt, dass sich gerade in den vergangenen 10 Jahren wahnsinnig viel getan hat, auch wenn insbesondere das flache Land vielfach noch weit zurückgeblieben ist. Dieses Mädchen repräsentiert fuer mich den Willen der Inder, sich ihren Platz in der Welt zu sichern – trotz aller Hemnisse.

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